Hochwertige Uhren made in Schwaben – Chrononautix

Auch im Schwabenländle werden schöne und hochwertige Uhren gebaut: Das beweist der Wahl-Schwabe Steffen Cornehl, der in Stuttgart-Ost nicht nur Uhren repariert, sondern in seiner kleinen, aber feinen Werkstatt auch selbst herstellt. Da ich selbst auch seit einigen Jahren im Großraum Stuttgart wohne, habe ich die Gelegenheit genutzt und Steffen Cornehl um ein Interview gebeten: Was den sympathischen und erfahrenen Uhrmachermeister antreibt, über seine Verbundenheit mit der Region Stuttgart und die Berufung zum Uhrmacher sowie sein Ausblick zu mechanischen Uhren und Smartwatches.

Steffen Cornehl im Interview

 

Bist du ein „echdr Schwob“ oder ein „Neigschmeggder“? [Anmerkung für Nicht-Schwaben: Echter Schwabe oder Zugezogener]

Ein „echdr Schwob“ wird man erst in der dritten Generation. Das kann ich mir also abschminken. Ich bin Wahlschwabe, seit 1997 im Ländle. Erst in Reutlingen als Uhrmacher und dann bei Blancpain im Aftersales Service. Die Reutlinger Zeit hat mich in die „Haute Horlogerie“ eingeführt. Dann ab 2001 in Esslingen und ab 2009 in Stuttgart. Ich mag die Schwaben mit ihrer Art, sonst hätte ich es wohl nicht so lange ausgehalten. Ich habe sie viel freundlicher kennengelernt, als sie selbst von sich behaupten. Und ich mag ihren Humor.

Du hast das Studium zum Diplom-Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Produktionsmanagement und Logistik erfolgreich abgeschlossen und anschließend als Ingenieur gearbeitet. Vor fast sechs Jahren hast du dich dann als Uhrmacher selbstständig gemacht. Was hat dich dazu bewegt, diesen Schritt zu wagen?

Die Uhrmacherkunst ist meine große Leidenschaft schon vor dem Studium gewesen. Aber als Uhrmacher repariert man nur Uhren. Ich habe die Berufsbezeichnung irgendwie immer falsch verstanden. Ich wollte immer auch Uhren „machen“ im Sinne von Entwerfen und Bauen. Das Studium hat mir geholfen, aus dem Gravitationsfeld des reinen Reparierens rauszukommen.

Ich habe nach meinem Studium acht Jahre als angestellter Ingenieur bei Festool gearbeitet und da viel gelernt. Die ersten fünf Jahre in der Produktentwicklung und dann in der Produktion in einem Bereich, in dem Neuheiten zum ersten Mal produziert werden. All das hilft mir heute, meine Uhren zu entwerfen und zu bauen.

Um deine Frage zu beantworten: Der innere Drang war immer da. Ich musste ihm nur erlauben, sich entfalten zu dürfen.

Wie schwer fiel dir der Schritt von einem geregelten Arbeitnehmer-Dasein zur Selbstständigkeit?

Haha. Ja, das ist natürlich ein Schlag für den inneren Schweinehund, der immer auf Sicherheit spielt. Aber ich habe natürlich auch die Schattenseiten des Angestelltenverhältnisses gesehen. Unzufriedene Menschen, die sich den ganzen Tag über ihre Firma und ihren Chef beschweren und die Tage bis zur Rente zählen, auch wenn es noch 15 Jahre dauern wird. Sie sind nicht bereit etwas zu ändern, weil es monetär am lukrativsten ist zu bleiben und die Klappe zu halten.

Das habe ich mir eine Zeit lang angesehen und für mich entschieden: Sorry, aber ich habe nur ein Leben und das werde ich nicht einfach absitzen, nur weil das Geld stimmt. Ich mache jetzt, wozu ich am meisten Lust habe: Ich baue meine eigenen Uhren. Natürlich ist das ein Risiko. Aber das Leben ist nun mal gefährlich und endet ganz häufig tödlich. Die Frage ist, was ich bis dahin mit meinem Leben gemacht habe.

 

Was ist die größte Herausforderung für einen Uhrmacher heutzutage?

Kein Galeerensklave zu sein. Moment – das trifft sicher nicht nur auf Uhrmacher zu. Lass mich noch mal nachdenken. Uhrmacher ist ein Traumberuf. Ich kenne viele Kollegen, die nicht mit 65 in Rente gehen, sondern einfach weitermachen, bis die Hände oder die Augen nicht mehr mitmachen. Warum? Einfach weil es ihnen Spaß macht, sich mit Uhren auseinanderzusetzen. Uhren sind wunderbare Gebilde. Sie haben geschichtliche, intellektuelle, technische, ästhetische, praktische und unterhaltsame Qualitäten (Zitat George Daniels). Dazu kommen die philosophischen Qualitäten einer Uhr: Mir helfen meine Uhren, über die Zeit nachzudenken und was ich mit der Zeit anstelle, die ich habe.

Die Herausforderung ist, sich die Freude an Uhren nicht nehmen zu lassen.

Was war deine allererste mechanische Uhr? Zu welchem Anlass hast du diese gekauft/geschenkt bekommen?

Meine allererste Uhr war der Zeitschaltmechanismus in der alten Waschmaschine meiner Mutter. Ich war sechs oder sieben Jahre alt, als ich ihn auseinandernahm. Leider ohne die Feder vorher abzuspannen. Peng. Ich habe ihn nie mehr zusammen bekommen. Meine Mutter war wenig amüsiert. Aber ich war fasziniert.

Die zweite Uhr war die alte Taschenuhr, die in der Backstube meines Vaters hing. Ich musste versprechen, sie nicht zu zerlegen. [Anmerkung: Steffen Cornehls Vater und Großvater waren Bäckermeister].

Welches ist derzeit deine Lieblingsuhr, die nicht aus deiner eigenen Kollektion stammt?

Da gibt es einige. Ich mag Präzisionszeitmessung. Deshalb faszinieren mich PPUs (Präzisionspendeluhren), wie sie vor hundert Jahren in Sternwarten hingen, oder auch Marinechronometer.

Im Alltag: Eine alte Omega Handaufzuguhr (Cal 30T2) aus den 40er Jahren. Es ist erstaunlich, wie gut diese Uhren konstruiert sind und wie präzise man sie 60 Jahre später noch regulieren kann. Das ist auch die Philosophie für meine Uhren: dass sie sowohl technisch als auch ästhetisch Generationen überdauern.

Wofür würdest du dir gerne mehr Zeit nehmen?

Ich mach, was mir man meisten Freude macht, weil ich glaube, dass man nur in dem Bereich am besten sein kann. Das bedeutet nicht, dass ich zu jeder Minute dabei Spaß habe. Passion und Leidenschaft bringen eben auch „Leiden“ mit sich. Die Frage, die ich mir beantworten muss: Wofür bin ich bereit, auch mal in schwierigen Zeiten zu leiden und durchzuhalten?

Mehr oder weniger Zeit für bestimmte Dinge – ich glaube, das ist eine Frage der Balance. Mir sind unterschiedliche Dinge im Leben ähnlich wichtig wie meine Arbeit: Freunde, Familie, Gott. Nur in umgekehrter Reihenfolge. Für mich geht es darum, diese Bereiche auszubalancieren. Wenn ich merke, da kommt etwas zu kurz, ändere ich es. Möglichst kurzfristig. Ich nehme mir alle drei Monate mit meiner Frau ein Wochenende Zeit und wir schauen unser Leben an, das, was wir gerade tun und fragen uns: Ist es das, was wir wollen? Und dann machen wir Anpassungen. Regelmäßig kleine Anpassungen sind leichter als der Mega-Change.

Aber um deine Frage in Bezug auf meine Arbeit zu beantworten: neue Uhren und Uhrwerke entwerfen. Es verlangt unglaubliche Konzentration, Fokus und Zeit, etwas Neues zu entwerfen.  Ein eigenes „In House“-Kaliber, das wäre schon was.

Auf den Ziffernblättern deiner eigenen Uhren-Kollektion ist der Stuttgart-Schriftzug immer recht präsent. Wie sehr fühlst du dich in der Region verankert?

Sehr. Ich habe hier fast die letzten zwanzig Jahre meines Lebens verbracht. Schöne Jahre, in denen ich viel gelernt und erlebt habe. Ich habe viele Freunde hier.

Auf dem Zifferblatt steht natürlich Stuttgart, weil ich die Uhren in Stuttgart gebaut habe. Ehre, wem Ehre gebührt. Auch wenn man Stuttgart fast ausschließlich mit Autos verbindet und nicht unbedingt mit hochwertigen mechanischen Uhren. Aber das kann sich ja noch ändern.

Wenn man etwas in der Stuttgarter Geschichte gräbt, findet man doch einiges über Uhren. Der berühmteste Uhrmacher der Region ist sicher Philippe Matthäus Hahn. Aber eine viel bekanntere Persönlichkeit hat sich vor seinem großen Durchbruch auch mit Uhren beschäftigt: Gottlieb Daimler. Den ersten Motor, den er zusammen mit Wilhelm Maibach entwarf, nannte er „Standuhr“ – zum einen, weil er zu der Zeit die ein oder andere Uhrenreparatur durchführte und zum anderen, weil dieser Motor (vielleicht inspiriert durch ersteres) wie eine Standuhr aussah.

 

Mit deiner bewegst du dich im Preisbereich von 4100 bis 15600€ – für einen sparsamen Schwaben ist das ein ordentliches Pfund. Wie rechtfertigt sich der Preis?

Meine Kunden schätzen die Handwerkskunst. Sie kaufen nicht einfach nur einen Zeitanzeiger. Um uns die Zeit zu zeigen, haben wir heute unser Smartphone oder die Mikrowelle. Meine Kunden bekommen nicht nur eine Uhr. Sie bekommen ein Stück meiner Begeisterung, ein Stück meiner Kunst, ein Stück meiner Leidenschaft, ein Stück meiner Zeit. Sie können mir über die Schulter sehen, wenn ich ihre Uhr fertige. Meine Uhren sind klassisch. Sie werden die nächste Generation auch noch erfreuen.

Des Weiteren bekommen meine Kunden unglaublich viel Uhr fürs Geld. Jeder Euro, den ein Kunde bezahlt, fließt direkt in seine Uhr. Ich habe keine teuren Vertriebsnetze und riesen Marketingtöpfe. Mund-zu-Mund-Propaganda. Das geht heutzutage natürlich dank dem Internet und Social Media weltweit. Das war vor zwanzig Jahren noch nicht so. Durch Bilder und kurze Videos kann ich meine Kunden in meinen Uhrmacheralltag mit hineinnehmen und ihnen zeigen, wie es unter dem Zifferblatt und tief im Inneren der Uhr aussieht. Wie Zeiger entstehen oder Räder. Meine Kunden können live miterleben, wie ihre Uhr entsteht. Sie können sogar mitgestalten, wenn sie wollen. Und wer kann schon sagen: „Ich kenne den Uhrmacher, der meine Uhr gebaut hat, persönlich!“?

 

Wo siehst du deine eigene Uhrenmarke in zehn Jahren?

Ein kleines familiäres Team von passionierten Menschen, Künstlern und Handwerkern, die zusammen großartige mechanische Zeitmesser kreieren. Diese Uhren sollen durch die Kunst ein Stück Ewigkeit in sich tragen und damit Generationen überdauern.

Mich faszinieren alte Taschenuhren, die vor 150 Jahren designt wurden und, wenn ich sie heute ansehe, ich das Gefühl habe: „Wow, das ist mal eine schöne Uhr“. Irgendetwas haben sie damals richtig gemacht, wenn unser Gehirn heute zu demselben Schluss kommt. Diesem Geheimnis bin ich mit meinen Uhren auf der Spur.

Smartwatches: Chance oder Gefahr für traditionelle Hersteller mechanischer Uhren?

Es kommt darauf an, in welchem Preissegment und in welcher Stückzahl du verkaufen willst. Meiner Meinung nach sind Smartwatches keine Konkurrenz für mechanische Zeitmesser. Es ist ein ganz anderes Produkt, das man vermutlich auch zu ganz anderen Anlässen trägt, z.B. zum Sport. Und warum sollte ein Liebhaber von mechanischen Uhren nicht auch mal eine Smartwatch tragen. Das tut doch seiner Liebe zur Mechanik keinen Abbruch.

Wenn natürlich dein Ziel ist, im Preisbereich von 500 bis 1500 Euro jährlich 100.000 Uhren zu verkaufen, solltest du dir ernsthaft überlegen, ob du in das Smartwatch-Business einsteigen willst. Frederique Constant zum Beispiel hat sich so entschieden.

Warum gibt es auch in Zukunft noch mechanische Uhren?

Es ist das Kind in uns, das fasziniert ist von der Mechanik. Ein autarker Mechanismus, eine Präzisionsmaschine auf einem so kleinen Raum. Und trotzdem kann man beobachten, wie er funktioniert. Wie ein Rad ins andere greift und am Ende die Unruh mit ihrer Spirale „atmet“. Es scheint etwas Lebendiges zu sein.

Zum rein technischen kommt der künstlerische Aspekt hinzu: Uhren waren und sind durch die Geschichte hindurch auch immer Objekt der Kunst gewesen zum Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls. Wenn du zum Beispiel heute eine trägst, obwohl du keinen Pilotenschein hast, ist die Uhr vielleicht der Ausdruck eines Lebensgefühls von Freiheit.

Interviews und Artikel

In einem kleinen Atelier im Stuttgarter Osten entstehen die Uhren der noch sehr jungen Marke Cornehl. Im Jahr 2016 gingen Steffen und Ulrike Cornehl an den Start und waren erstmals auf der Munichtime und Viennatime vertreten.

Wir besuchten sie, nahmen ihre kleine Kollektion unter die Lupe und gingen der Frage nach, welche Philosophie hinter diesen Uhren steht.

Antike Uhren sind wieder begehrt. Was ist an ihnen so faszinierend? Ein Stuttgarter Uhrmacher gibt sein Wissen an einen jungen russischen Kollegen weiter. Hinter der Zusammenarbeit steckt eine ungewöhnliche Geschichte. Stuttgart – Irgendwann ist sie stehengeblieben.

Ihr Äußeres hat nicht darauf hingedeutet, sie ist eine Schönheit: Die winzigen Intarsien sind unversehrt, auf ihrer Rückseite sind zwei Schwäne in einem Gewässer zu sehen, eine perfektionistische Arbeit in Emaille…

Steffen Cornehl reist regelmäßig nach Sankt Petersburg, um die Uhren im Zarenpalast Peterhof – dem „russischen Versailles“ – wieder zum Laufen zu bringen. Cornehl leistet das ehrenamtlich gegen Kost, Logis und Kulturprogramm.

Wie der Zufall so spielt. Ein deutscher Uhrmacher reist Ende der neunziger Jahre als neugieriger Tourist ins russische St. Petersburg, um den legendären Peterhof zu besuchen, das „russische Versailles“.